Aus dem Schatten (Peripapantheriade – den Antilopen zugetan)

Der Tag hat mich schwer gemacht. Ich liege im Staub unter der alten Akazie und kaue an den letzten Sonnenstrahlen, bevor sie sich in der Dunkelheit verstecken können. Sie wehren sich nicht. Eigentlich fresse ich nichts, das sich nicht wehrt, aber nach einem heissen Tag mach ich manchmal eine Ausnahme.

Drüben, am Wasserloch, hängen die Antilopen ihre Ärsche in meine Richtung und genießen den Nervenkitzel, mit ihren Leben zu spielen. Die Natur hat das schon richtig gemacht – ich habe Lust und Hunger, sie haben Angst und Fleisch. Lauf uns nach, sagen die Ärsche zu mir. Komm her, reiß uns auf, friß Dich satt. Ich schau mir das an und kaue weiter am Spektrumssalat. Bei der Hitze kommen mir die reizvollen, die blutigen Möglichkeiten, immer erst am Abend in den Sinn.

Als ich mich auf die Vorderpfoten aufsetze zucken die Hinterteile und ein paar schmale Köpfe, mit Hörnern drauf, sehen sich nach mir um. Langsam stehe ich ganz auf und trotte eine Runde um den Baum. Dann noch eine. Mein Fell juckt von Staub und Hitze. Während ich um die Akazie schleiche sammelt sich das geschwätzige Pack meine Gedanken aus allen Himmelsrichtungen und redet auf mich ein.

Am Nachmittag kam ein anderer Jäger vorbei und blieb etwas südlich von mir stehen. Wir haben uns lange angesehen; schließlich ging er davon. Vielleicht wollte er sich mit mir über die Jagd unterhalten. Oder über die Beute. Vielleicht war er einer, der niemals das Wort Arsch verwenden würde und dem schon ein Knistern durchs Fell geht, wenn man nur von einem Hinterteil spricht. Einer von denen, die jagen, weil sie zu Fressen brauchen. Wir brauchen alle was zwischen die Fänge und unterscheiden uns nur im Stil.

Oder er wollte mein Revier. Meine Akazie. Ich gebe zu, mein Baum steht günstig und der Staub, der mich umgibt, ist mir vertraut geworden. Aber daran hänge ich nicht so sehr, dass ich darum kämpfen würde. Hätte er sich genähert und wär nach drei Prankenschlägen nicht wieder gegangen, hätte ich mich nach einer neuen Bleibe umgesehen. Kämpfe sind mir zu anstrengend geworden, zu kompliziert und beschäftigen sich unnötigerweise mit Meinesgleichen. In meinem Alter, das immer das beste ist, muss ich mir nicht beweisen, dass ich stärker bin. Ich muss nur eins: tun was ich will. Jagen.

Das Rot, das langsam eine Seite des Horizonts einfärbt, zieht sich über die starren Wolken in den Himmel hinauf. Ich sehe dem Hellblau beim Erröten zu und schnappe aus sich langsam sammelndem Übermut nach einer der Wolken, aber sie bewegt sich nicht. Sie hat keine Angst vor mir und ich kein wirkliches Interesse an ihr. Wir überlassen einander würdigeren Gegnern.

Schließlich denke ich über Antilopen nach. Nach einigen Runden um den Baum drehen sich meine Gedanken immer um Antilopen. Wie sie sich bewegen. Ihre Schönheit reizt mich und ihre Anmut verwirrt mich. Aber darum geht es mir nicht, auch nicht um meinen Hunger – das sind Nebensächlichkeiten. Ich will sie laufen sehen, bis zu diesen Punkt in der Savanne, an das Spiel aufhört und nur noch Lebensgefahr für sie bleibt.

Sie wissen es alle, worum es geht. Um das Blut, dass sie vor mir davontreibt und die Angst, die sie so bedingungslos anfällt, dass sie beinahe stehenbleiben und sie auskosten möchten. Sie laufen und die Furcht vor meinen Kiefern ist für sie die größte Hoffnung in ihrem armseligen Wildnisleben. Wie schön sie sind, wenn ich im Näherkommen ihre Unsicherheiten füttere. Ich rieche sie und treibe sie zu noch größerem Geruch. Ich erschöpfe sie, bis eine zurückfällt und zu wissen beginnt, dass sie nun mir gehört. Dass sie für mich dunkelrot erröten wird. Dass mein Hunger nach ihr größer ist als mein Hunger nach Nahrung. Dass meine Nähe ihr die Unruhe, ihr Kinderlachen und die nervösen Plappereien verzeihen wird – und ihr eine Unzucht erlaubt, in der sie gierig sterben kann. Dass ich sie küssen werde, lieben werde, zu Tode lieben werde. Sie darf sich der Liebe opfern, ich muss sie mir erjagen.

Durst kommt auf. Ich trotte rüber zum Wasserloch und meine Gefährtinnen für diesen Abend ziehen sich zurück. Sie haben den gleichen Durst wie ich, aber sie gehen auf Abstand vom Wasser. An manchen Tagen reicht mir schon dieses Zurückweichen, dann schlappe ich aus dem Loch, bis die Kehle ruhig ist und bleib daraufhin noch ein bisschen liegen und spüre sie in meinem Rücken ungeduldig darauf warten, dass ich wieder gehe. Aber heute reicht mir das nicht. Sicher nicht.

Dann gibt es kein Hellblau mehr am Himmel. Ich gehe am Wasser vorbei, es ist zu spät um vorher noch den Durst zu stillen. Meine Gedanken haben lange genug gekreist, jetzt verwehen sie aus meinen Muskeln und ich gehe weiter auf die wartende Herde zu. Ihr Augen sind das einzige, was nicht an ihnen zögert. Die Augen wissen es immer schon vorher und wenn sie verstünden, dass ich lächle, könnten sie es noch weniger ertragen. Die erste beginnt zu rennen. Ihr Zucken geht durch alle anderen und dann ist die ganze Herde wie eine Bewegung, ist eine Ehrerbietung, die auf keine andere Art errungen werden kann. Sie laufen und ich seh sie schon, die Schwächste von allen. Und sie weiß es. Und sie will es. Blutige Möglichkeiten.